Tag der Menschenrechte: Kampf gegen Kinderarbeit

Interview mit UNICEF Austria Executive Director Christoph Jünger

Anlässlich des Internationalen Tages der Menschenrechte am 10.Dezember und des Internationalen Jahres zur Abschaffung der Kinderarbeit 2021 haben wir im Interview mit Christoph Jünger, Executive Director UNICEF Österreich, über die Entwicklungen, Hürden und über die Auswirkungen der Pandemie auf die Situation der Kinder gesprochen. Dem hinzu beleuchtete Herr Jünger potentielle Maßnahmensetzungen zum Schutz der Kinder entlang der gesamten Lieferkette eines Unternehmens und blickte in diesem Zusammenhang auch auf die Notwendigkeit eines starken Lieferkettengesetzes auf EU-Ebene.

 

UNICEF Österreich stützt sich in seiner Arbeit auf ein Netzwerk von 33 nationalen Komitees. Das österreichische Komitee für UNICEF wurde 1962 als Verein gegründet. UNICEF finanziert seine Arbeit ausschließlich aus freiwilligen Beiträgen und erhält keine Mittel aus Pflichtbeiträgen der Regierungen.

GCNA: Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) hat 2021 zum Internationalen Jahr zur Abschaffung der Kinderarbeit erklärt. Gleichzeitig hat die Covid-19 Pandemie die Weltgemeinschaft fest im Griff. Alle Mitgliedstaaten sollen umgehend wirksame Maßnahmen zur Beseitigung von Zwangsarbeit, moderner Sklaverei und Menschenhandel ergreifen. Welche Maßnahmen sind bereits 2021 umgesetzt worden um die Situation der Kinder zu verbessern?

Christoph Jünger: Generell ist es wichtig zu wissen, dass Kinderarbeit strukturell bedingt ist und multiple Gründe hat. Aus diesem Grund sind jegliche Maßnahmen zur Bekämpfung von Krisen und Kinderarmut sowie zur Förderung der Bildung und Unterstützung von Familien wichtig, um auch die negativen Auswirkungen von Kinderarbeit einzudämmen. UNICEF hat gerade im Schatten der Pandemie seine umfassende Arbeit für Kinder weltweit ohne Wenn und Aber fortgesetzt. 

Die Komplexität von Kinderarbeit und der einzigartige Charakter der gegenwärtigen Krise machen deutlich, dass es keine einheitliche bzw. „einfache“ Lösung gibt. Die bisherigen Erfahrungen zeigen jedoch, dass die Einbeziehung von Kinderarbeit in umfassendere Maßnahmen in den Bereichen Bildung, Sozialschutz, Justiz, Arbeitsmärkte und internationale Menschen- und Arbeitsrechte einen entscheidenden Unterschied macht.

Die Sicherstellung einer angemessenen Finanzierung für Kinder wird von entscheidender Bedeutung sein, um bei der Bekämpfung der Kinderarbeit während und nach der Überwindung der COVID-19-Krise wieder Fortschritte zu erzielen.

UNICEF setzt aus diesem Grund auf Bildungsprogramme, Information und Bewusstseinsbildung sowie auf die Stärkung von Familien und Dorfgemeinschaften um Kinderarbeit zu bekämpfen. Durch Bildungsangebote, Gespräche mit Arbeitgeberinnen und -gebern und Druck auf die Regierungen können wir wirksam helfen.

Für Kinder, die arbeiten müssen um ihre Eltern zu unterstützen, haben wir spezielle Bildungskurse entwickelt. Hier findet der Unterricht morgens oder nachmittags statt. So können die Kinder verpassten Schulstoff nachholen und später nach Möglichkeit auf eine normale Schule wechseln. UNICEF stärkt Familien, zum Beispiel durch die Vergabe von Stipendien oder Schulessen.

Wir sensibilisieren für das Problem und setzen uns für Reformen der Arbeitsgesetzgebung und für eine Gesundheits- und Bildungspolitik mit dem Ziel vor allem auf die Abschaffung der ausbeuterischen Kinderarbeit ein. Hier noch ein ganz konkretes Beispiel: In Brasilien unterstützt UNICEF das Nationale Forum zur Prävention und Abschaffung von Kinderarbeit, das unter anderem Debatten auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene organisiert.

UNICEF setzt sich für die Verhinderung und Bekämpfung von Kinderarbeit ein, insbesondere durch die Stärkung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Sozialdiensten. Mitarbeiter von Sozialdiensten spielen eine Schlüsselrolle bei der Erkennung, Verhinderung und Bewältigung von Risiken, die zu Kinderarbeit führen können. Unsere Bemühungen zielen darauf ab, das Personal zu entwickeln und zu unterstützen, um potenzielle Fälle von Kinderarbeit zu erkennen und darauf zu reagieren, und zwar durch Fallmanagement und Sozialschutzdienste, einschließlich Früherkennung, Registrierung und zwischenzeitliche Rehabilitations- und Überweisungsdienste.

Wir konzentrieren uns auch auf die Stärkung von Erziehungsinitiativen für Eltern und Gemeinden, um schädliche soziale Normen zu bekämpfen, die Kinderarbeit begünstigen, und arbeiten gleichzeitig mit nationalen und lokalen Regierungen zusammen, um Gewalt, Ausbeutung und Missbrauch zu verhindern.

Gemeinsam mit der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) helfen wir bei der Erhebung von Daten, die Entscheidungsträger*innen das Thema Kinderarbeit näherbringen. Diese Bemühungen ergänzen unsere Arbeit zur Stärkung der Geburtenregistrierungssysteme, um sicherzustellen, dass alle Kinder über Geburtsurkunden verfügen, die belegen, dass sie noch nicht das gesetzliche Mindestalter für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit erreicht haben.

Um den Kinderhandel zu bekämpfen, arbeiten wir mit Partnern der Vereinten Nationen und der Europäischen Union an Initiativen, die 13 Länder in Afrika, Asien, Osteuropa und Lateinamerika erreichen.

GCNA: UNICEF geht in der Studie COVID-19 and child labour: A time of crisis, a time to act auf die Lage der Kinder seit der Pandemie ein. In dem Bericht werden mehrere Vorschläge unterbreitet, um die Situation zu verbessern. Darunter fallen: Verbesserung des sozialen Schutzes, leichterer Zugang zu Krediten für arme Familien, Förderung menschenwürdiger Arbeit bei Erwachsenen, Aufholmaßnahmen für Schulbildung einschließlich der Abschaffung von Studiengebühren, mehr Ressourcen für Inspektionen am Arbeitsplatz und eine Verbesserung der Gesetzgebung. Die Pandemie hat auch die Lage der Kinder in Österreich verschlechtert. Welche Unterstützungen brauchen Familien und Kinder um die harten Lockdown-Monate und Schulschließungen zu verarbeiten?

Christoph Jünger: Global gesehen subsumiert die Fragestellung bereits sehr gut, welche wesentlichen Unterstützungsleitungen Kinder und ihre Familien brauchen. Der Kontext ist in jedem Land unterschiedlich und auch wie krisenresistent Systeme sind – aus diesem Grund ist es auch wichtig, das Set an Maßnahmen jeweils an die Gegebenheiten anzupassen.

Ein weiterer Anstieg der Kinderarbeit ist vermeidbar, wenn entsprechende Maßnahmen ergriffen werden. Wie sich eine Krise tatsächlich auf die Kinderarbeit auswirkt, hängt davon ab, wie die Politik auf diese Krise reagiert. Die Rolle der sozialen Absicherung ist besonders wichtig. Er ist eine kritische Risikomanagementstrategie, die in Krisenzeiten, wenn Arbeitslosigkeit und Armut zunehmen, besonders wichtig ist. Er ist auch ein Rettungsanker, der Familien davor bewahrt, tiefer in die Armut abzurutschen, und ihnen hilft, negative Bewältigungsstrategien zu vermeiden. Modellierungsszenarien zeigen, dass eine rasche Erhöhung der sozialen Absicherung die Auswirkungen von COVID-19 auf die Kinderarbeit ausgleichen kann. Im Gegensatz dazu könnten die Auswirkungen der Krise auf die Kinderarbeit viel schlimmer ausfallen, wenn die soziale Absicherung aufgrund von Sparmaßnahmen oder anderen Faktoren sinkt.

In Österreich haben wir ein ungleich besser aufgestelltes System verglichen mit dem internationalen Maßstab. Trotzdem gibt es auch hier zu Lande wichtige Themen wie Armut und die psychische Belastung durch die Pandemie selbst als auch durch die Maßnahmen, die zur Eindämmung der Verbreitung des Virus notwendig sind. Kontaktbeschränkungen, Isolation, Home Schooling, beängstigende Berichterstattungen und Unsicherheit stellen für junge Menschen weltweit eine enorme Belastung dar.

Es sind Regierungen, Entscheidungsträger*innen, Unternehmen und jeder Erwachsene gefragt, die Welt für jedes Kind dieser Welt zu einem besseren Ort zu machen.

GCNA: Teilnehmerorganisationen verpflichten sich beim Beitritt in das UN Global Compact Netzwerk dazu die 10 Prinzipien des UN Global Compact zu wahren (darunter auch Prinzip 5 “die Abschaffung der Kinderarbeit”) sowie ihren Beitrag zur Erreichung der Sustainable Development Goals (SDGs) zu leisten (die Maßnahmenergreifung zur Beendigung der Kinderarbeit ist in SDG 8.7 reflektiert). Darüber hinaus haben Save the Children und der UN Global Compact, gemeinsam mit UNICEF Grundsätze erarbeitet, wie Unternehmen Kinderrechte schützen und fördern können – unter anderem, indem sie dafür sorgen, dass in der gesamten (globalen) Lieferkette keine Kinderarbeit vorkommt. Wo sehen Sie hier das größte Verbesserungspotential von Seiten der Unternehmen?

Auch Unternehmen stehen in der Pflicht, mit der gebotenen Sorgfalt nachteilige Auswirkungen auf die Menschenrechte in ihren Betrieben und Lieferketten, einschließlich Kinderarbeit, zu verhindern, zu ermitteln, abzumildern und zu beheben. Die Förderung verantwortungsvoller Einkaufspraktiken, menschenwürdiger Arbeit und fairer Löhne in den Lieferketten ist von entscheidender Bedeutung für die Bekämpfung der Ursachen von Kinderarbeit. Faire Löhne sind insofern so wichtig, als dass Eltern es sich somit leisten können, ihre Kinder in die Schule zu schicken. 

Mag. Christoph Jünger MBA,

Christoph Jünger, Executive Director Austrian Committee for UNICEF

Unternehmen können auch lokale Programme unterstützen, die den Zugang zu hochwertiger Bildung, sozialem Schutz und die Fähigkeit der Akteurinnen und Akteure entlang der Lieferkette verbessern, Kinderarbeit zu verhindern, auch im informellen Sektor, wo das Risiko besonders hoch ist. Unternehmen können auch ihre Stimme erheben, um sich für ganzheitliche Kinderrechtsansätze zur Verhinderung von Kinderarbeit in Rechts- und Verwaltungsvorschriften einzusetzen und mit Regierungen und der Zivilgesellschaft zusammenzuarbeiten, um die Kinderarbeit in nationale Kinder- und Sozialschutzprogramme zu integrieren (z. B. indem sie gefährdete oder identifizierte Kinderarbeiterinnen und -arbeiter mit lokalen Ressourcen verbinden und zu nationalen Kinderschutzprogrammen beitragen). Um wirksam und nachhaltig zu sein, sollten Unternehmensansätze geschlechtersensibel sein und sich auf die Prävention konzentrieren – mit einem Schwerpunkt auf den am meisten gefährdeten Kindern und Gemeinschaften.

Die Schaffung familienfreundliche Arbeitsbedingungen und von Betreuungsmöglichkeiten für Kinder sind eine Möglichkeit, wie Unternehmen konkret etwas im Kampf gegen Kinderarbeit beitragen können.

Auch über das Thema Kinderarbeit hinaus haben Unternehmen Verantwortung für die Einhaltung der Kinderrechte, wie z.B. bei den Themen Umweltverschmutzung und Schadstoffbelastung. Diese wirken sich auf die Gesundheit von Kindern stärker negativ aus als auf Erwachsene.

GCNA: Auch Unternehmen selbst haben eine menschenrechtliche Verantwortung. Mit Verabschiedung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UN Guiding Principles on Business and Human Rights, UNGPs) wurde diese in einem globalen Rahmenwerk reflektiert. Die UNGPs geben klare Schritte dafür vor, wie Unternehmen ihre menschenrechtliche Verantwortung in den eigenen Unternehmenstätigkeiten und Lieferketten integrieren können. Dieser Prozess heißt menschenrechtliche Sorgfaltspflicht („Human rights due diligence“). Um diesen Prozess durch Gesetze verbindlich zu machen, haben bereits einige europäische Länder Gesetzesentwürfe für die kommenden Jahre vorgelegt, die Europäische Union selbst arbeitet auch an einem Sorgfaltsgesetz. Wie bzw. kann ein Lieferkettengesetz Kinderrechte ausreichend schützen?

Christoph Jünger: Ein Gesetz ist wichtig. Es muss aber ein starkes Gesetz sein, verbindliche Schritte für die Umsetzung und Einhaltung der Prinzipien sind notwendig, wie zum Beispiel:

  • Durch nationale Aktionspläne von Regierungen die Umsetzung der UNGPs in allen Ländern zu fördern.
  • Verpflichtung von Unternehmen, die in der UN-Kinderrechtskonvention verankerten Rechte entlang der gesamten globalen Lieferketten zu achten, Risiken und Folgen systematisch zu erheben und zu bewerten sowie öffentlich über diese Risiken und dagegen ergriffene Maßnahmen zu berichten.
  • Präventions- und Abhilfemaßnahmen, um Menschen- und Kinderrechtsverletzungen zu verhindern und Schäden wiedergutzumachen.
  • Einrichtung von Beschwerdemechanismen für jugendliche Arbeitnehmende, die auch zugänglich sind

Damit ein Lieferkettengesetz die gewünschte Wirkung entfalten kann, sollte es so verbindlich wie möglich gestaltet werden. Weiters bedarf es, dass Kindern der Zugang zum Rechtsweg ermöglicht wird und, dass ein Gesetz für alle Unternehmen in besonders risikobehafteten Sektoren Anwendung findet.

 

GCNA: Nächstes Jahr findet die 5. Globale Konferenz zum Thema Kinderarbeit in Südafrika statt, mit dem Ziel weitere Verpflichtungen zu verabschieden, um die Kinderarbeit in all ihren Formen bis 2025 zu beenden (auch in SDG 8.7 reflektiert). Glauben Sie 2025 ist ein realistisches Ziel? Und wie kann dieses Ziel erreicht werden?

Christoph Jünger: Während heute fast 86 Millionen Kinder weniger von Kinderarbeit betroffen sind als zu dem Zeitpunkt, als wir im Jahr 2000 begonnen haben, das Ausmaß der Kinderarbeit weltweit zu messen, zeigen die jüngsten Trends, dass wir hinsichtlich unserer kollektiven Verpflichtung, Kinderarbeit in all ihren Formen bis 2025 zu beenden, weit zurückgefallen sind. 

Um das Ziel 8.7 zu erreichen, müsste der weltweite Fortschritt fast 18-mal schneller sein als in den vergangenen zwei Jahrzehnten. Der letzte ILO-UNICEF Report zeigt auch, dass bei dem Tempo des Zeitraums von 2008 bis 2016 erzielten Fortschritts im Jahr 2025 immer noch 140 Millionen Kinder von Kinderarbeit betroffen sein werden. Unter Berücksichtigung der möglichen Auswirkungen von COVID-19 wird es noch schwieriger sein, dieses Ziel zu erreichen.

Wir müssen uns auf die dringende Notwendigkeit konzentrieren, den Fortschritt viel mehr als in der Vergangenheit zu beschleunigen, Ressourcen zu mobilisieren, um in öffentliche Dienstleistungen zu investieren und die strukturellen Ursachen in den ländlichen Wirtschaften anzugehen. Wir müssen so schnell und so nah wie möglich an die Zielvorgabe herankommen.

Christoph Jünger hat nach seinen Studien der Internationalen Wirtschaftswissenschaften mit Schwerpunkt Marketing, Human Ressource Management sowie Public/Non Profit Management und den Master of Business Administration an der University of Notre Dame (Indiana, USA) und verschiedenster Arbeitsstationen in einer Werbeagentur, Institut für Verwaltungsmanagement und Avaya Communications ab 2011 die Position „Head of International Donor Services“ im SOS Kinderdorf International bekleidet. Weitere drei Jahre zeichnete er für einen erweiterten Verantwortungsbereich als „Head of Individual Giving“ verantwortlich und übernahm anschließend den „Competence Center Fund Development“ als Internationaler Direktor. Bei Licht für die Welt International war Christoph als Internationaler Direktor Fundraising bis Herbst 2020 tätig und für die Marktentwicklung in Österreich, Deutschland, Schweiz sowie Tschechien verantwortlich und seit Anfang November 2021 Executive Director des Österreischischen Komitees für UNICEF.

Mag. Christoph Jünger MBA,

Christoph Jünger, Executive Director Austrian Committee for UNICEF

Das Interview mit Christoph Jünger, Executive Director Austrian Committee for UNICEF, wurde von Magdalena Christandl, Project Officer Human Rights, Labour and Gender Equality, Global Compact Network Austria (GCNA) in schriftlicher Form geführt.